Der Gehilfe des Gärtners

von Susanne Firgau

Es war einmal ein Mann, der lebte mit seiner Frau und seinen vier Kindern am Rande eines Dorfes in einem kleinen Haus Sie waren arm, aber hatten doch genug, daß es ihnen zum Leben reichte Der Mann ging tagsüber in den Wald zur Arbeit, und die Frau trieb einen kleinen Handel mit irdenem Geschirr, und auch die Kinder halfen ihr dabei und trugen oft Töpfe und Teller von Haus zu Haus. Am Abend saßen sie dann gemeinsam um den Tisch und dankten Gott für das tägliche Brot, das er ihnen immer wieder gab.

Einmal nun ging eine schwere Krankheit über das Land, und im Dorf starben mehr und mehr Menschen. Endlich wurden auch die Kinder des Mannes krank, eines nach dem andern, dann seine Frau und zuletzt er selbst. Das Fieber hatte sie alle gepackt. Die Lebenslichtlein der Kinder flackerten nur nach wie verlöschende Flämmchen, und der Mann warf sich des Nachts ruhelos auf seinem Lager hin und her, denn er wußte, daß es mit ihm selbst schlimm stand, und konnte doch nicht ruhig werden in Sorge um seine Familie.

Eine Nacht nun schien es ihm, als seien alle eingeschlafen. Nur hie und da drehte sich eines in den heißen Kissen oder redete im Traum. Da öffnete sich die Türe, und eine hohe Gestalt trat ein. Der Mann hatte sich mühsam ein wenig aufgerichtet und starrte auf den Eintretenden. Der war groß, mit blassem Gesicht und trug einfache Kleider von altmodischem Schnitt, darüber einen langen Schurz, wie ihn Gärtner haben. Und er sprach: „In deinem Hause ist es schlecht genug bestellt. Du weißt wohl, daß die Krankheit, die dich und deine Familie ergriffen hat, schon vielen Menschen das Leben nahm. Deine Frau und deine Kinder aber sollen geheilt werden, wenn du mit mir gehst und mein Gehilfe sein willst. Ich habe einen großen Garten und brauche die Hilfe eines Menschen.“ Der Mann war sehr erschrocken, als er hörte, daß er seine Familie verlassen sollte, aber schließlich willigte er ein, weil der Fremde versprach, daß die Seinen gesund werden sollten. Da wich das Fieber von ihm, er stand auf und fühlte sich wunderbar leicht und froh, und der Fremde öffnete vor ihm weit die Türe. Hier umgab ihn ein wunderbarer Glanz, daß er ganz geblendet war, und er sah eine goldene Brücke, die sich von der Türschwelle hoch aufwölbte. An der Hand des Fremden schritt er darüber, und jenseits betraten sie einen herrlichen Garten. Hier blühten ungezählte Blumen in langen Reihen, in der Mitte aber, unter einem hohen Baume, der seine dunklen Äste weit ausbreitete, sprang ein silberheller Quell, in Marmor gefaßt.

Der Gärtner gab dem Mann ein Kännlein aus Gold und befahl ihm, die Blumen aus dem Quell zu tränken. Und es war wunderbar zu sehen, wie die Blüten, die halb verdorrt, bei den ersten Tropfen, die ihre Blätter berührten, sich langsam aufrichteten.

Nun blieb der Mann in dem Garten und pflegte die Blumen. Der Gärtner war oft lange Zeit fort, und wenn er zurückgekehrt, brachte er immer in seinem Korb mehrere Pflanzen mit. Oft waren halb verwelkte Blümlein darunter. Der Mann grub sie dann mit den Wurzeln in die Erde, begoß sie mit Wasser, und bald erholten sie sich und blühten prächtig mit den anderen.

Als sieben Jahre herum waren, ergriff den Mann eine große Sehnsucht nach seiner Familie, und er bat den Gärtner, ihn kurze Zeit zu beurlauben. Der war damit einverstanden und gab ihm in einem kleinen Fläschchen etwas von dem wunderbaren Wasser mit auf den Weg. „Ein paar Tropfen genügen, um einen Menschen von der schwersten Krankheit zu heilen“, sprach er, dann berührte er den Mann mit der Hand, und dieser fiel in einen tiefen Schlaf.

Als er erwachte, befand er sich am Rande seines Dorfes. Die Sonne stand hoch am Himmel, und erfreut eilte er, seine Familie aufzusuchen. Aber dort, wo einmal sein Häuschen gestanden, ragte nun ein hoher Bau, und viele Menschen gingen aus und ein. Er fragte nach seiner Frau und seinen Kindern, aber niemand konnte ihm Auskunft geben. Überhaupt schien ihm das ganze Dorf merkwürdig verändert, viel größer, und die Menschen trugen Kleider, wie er sie nie sonst gesehen. Wen er auch fragte, keiner konnte ihm Auskunft geben, was aus den Seinen geworden war. Endlich fand er seinen Namen und die Namen seiner Kinder im Kirchenregister, und man sagte ihm, daß diese Familie wohl vor hundert Jahren hier gelebt haben mußte.

Nun sah er, daß er über hundert Jahre bei dem Gärtner gearbeitet hatte, und traurig ging er fort, um in den Garten zurückzukehren. Aber er konnte den Weg dorthin nicht finden, und auch die goldene Brücke, über die er damals geschritten, wollte sich ihm nicht mehr zeigen.

Da wanderte er durch Länder und Städte. Wo er kranke Menschen fand, heilte er sie mit dem wunderbaren Wasser aus seinem Fläschchen, und der Ruf von ihn als einem wunderbaren Arzt breitete sich immer weiter aus. Mancher König bat ihn, an seinem Hofe zu bleiben, er aber ging lieber in die Hütten der Armen, und wo Krankheit und Not herrschte, brachte er Hilfe und Trost.

So zog er viele Jahre unermüdlich von einem Ort zum andern und wurde alt. Einmal nun, nachdem er den ganzen Tag an seinem Stabe die lange Straße gewandert war, fühlte er sich plötzlich müde und matt, und er setzte sich an den Rand des Weges, ein wenig auszuruhen. Aber bald bemächtigte sich seiner eine große Schwäche, und er merkte wohl, daß er seinen Weg nicht mehr fortsetzen konnte. Da dachte er, ein paar Tropfen von dem wunderbaren Wasser könnten ihm wohl helfen. Als er aber das Fläschchen hervorzog, sah er, daß es leer und für ihn selbst nicht mehr ein Tröpflein übrig geblieben war.

Da blieb er traurig sitzen, selbst krank und müde. Die Sonne ging prächtig unter, es wurde rasch dunkel und am Himmel glänzte ein Stern nach dem andern auf. Mitten in der Nacht erwachte der Alte von einem herrlichen Glanz, und er sah die goldene Brücke gerade vom anderen Straßenrand sich hoch aufwölben. Als er sich erhob, fühlte er sich leicht und jung, und voller Freude schritt er über die Brücke und betrat jenseits wieder den wunderbaren Garten. Der Gärtner kam ihm lächelnd entgegen, gab ihm das goldene Kännlein in die Hand und hieß ihn wieder wie damals die ungezählten Blumen tränken.