Die silbernen Glocken,...

von Susanne Firgau


Die silbernen Glocken, die goldene Krone und das Sternenschiff


Es war einmal ein junger Goldschmied viele Jahre bei einem Meister Geselle gewesen und so geschickt in seinem Handwerk, daß es ihm keiner nachmachen konnte. Da sprach sein Meister zu ihm:

„Bei mir kannst du nichts mehr lernen, ziehe in die weite Welt und versuche dein Glück!“ Und der Bursche schnürte sein Bündel und zog munter und guter Dinge davon. Er wanderte durch viele Länder, über Berge und tiefe Täler, hielt die Augen offen und sah wohl, wie in der Natur alles so wunderbar war, daß keines Menschen Hand es nachzubilden vermochte.

Eines Tages kam er in eine öde, verlassene Gegend, und es schien ihm fast, als sei hier das Ende der Welt, denn kein Baum und kein Strauch, keine Blume und kein Tier waren weit und breit zu sehen. Nur die Sonne brannte heiß auf eine endlose Steinwüste hernieder, und der Bursche glaubte, es vor Hitze und Durst kaum mehr ertragen zu können. Da sah er auf einmal ein mächtiges, dunkles Schloß vor sich, wie aus dem Erdboden aufgestiegen, mit finsteren Mauern und einem hohen Turm. Er eilte erfreut darauf zu und pochte an das schwere, eisenbeschlagene Tor, das sich lautlos vor ihm öffnete. Erstaunt blickte er sich um, aber kein Mensch war zu sehen, und neugierig schlich er durch das Schloß von einem Saal in den anderen. Die Wände waren hier mit silber- und golddurchwirkten Stoffen bespannt, der Boden aus schwarzem Marmor und mit bunten Teppichen belegt. Oberall standen hohe Vasen und glänzende Gefäße umher, mit farbigen Edelsteinen reich verziert.

Der junge Goldschmied, der wohl etwas davon verstand, bewunderte die feinen Arbeiten, denn er sah, daß sie von Meisterhand hergestellt waren. Aber schließlich spürte er doch Hunger und Durst und seufzte: „Was nützt mir all die Pracht und Herrlichkeit, wenn niemand mir etwas zu trinken und zu essen gibt!“ Kaum hatte er es ausgesprochen, da öffnete sich der Fußboden, und ein kleines, zierliches Tischlein, mit den feinsten Speisen bedeckt, stand vor ihm. „Ei, das lob' ich mir!“ rief er erfreut, setzte sich hin und griff herzhaft zu. Als er satt war, verschwand das Tischlein wieder, und der Bursche stand auf und wanderte weiter durch die stillen Räume. Plötzlich schien es ihm, als höre er leise Schritte hinter sich, und wie er sich umdrehte, stand da ein großer Mann in kostbaren Gewändern mit dunklen Bart, das bleiche Gesicht von schwarzen Locken umrahmt. „Ich bin der Fürst des Schlosses“, sprach er freundlich, „du sollst mein Gast und Schüler sein, wenn du willst.“ Der junge Goldschmied merkte wohl, daß der Fremde ein Zauberer war, doch er fürchtete sich nicht, und der Fürst führte ihn durch alle Gemächer, treppauf und treppab, und zeigte ihm wunderbare Dinge. Zuletzt kamen sie in einen kleinen Garten, aber wie staunte er, denn hier standen Bäume und Blumen, und alles war aus Gold, Silber und Edelsteinen auf das Kunstvollste gearbeitet. Die Blumen glitzerten in allen Farben und schienen selbst das bunte Licht auszustrahlen, und die Blätter an den Bäumen waren aus den feinsten Metallen geschmiedet und bewegten sich bei dem kleinsten Lufthauch hin und her.

„Welch ein wunderbarer Garten!“ rief der junge Bursch entzückt aus. „Noch nie habe ich so etwas Herrliches gesehen! Wer hat dies geschaffen?“

„Alles das haben meine Diner, die Zwerge, geschmiedet“, sagte der Fürst und führte ihn tief unter die Erde in die Werkstatt der Zwerge und Gnomen. Hier war ein emsiges Arbeiten und Hämmern, Feilen und Klopfen. Tausend kleine häßliche Männlein liefen umher, fachten ein riesiges Feuer an, hoben mit langen Zangen das glühende Metall heraus und schmiedeten daraus auf ihren kleinen Ambossen die feinsten Geräte, Becher und Schüsseln, kleine Kronen und allerhand köstliches Geschmeide. Der Bursche erkannte, daß ihre Kunstfertigkeit alles übertraf, was er in der Werkstatt seines Meisters gesehen, und sprach: „Hier möchte ich bleiben und lernen, gebt mir einen Amboß, Hammer und alles, was dazugehört!“ Der Zauberer gab ihm das zierlichste Handwerkzeug und ließ ihn bei den Zwergen zurück. Diese hüpften eifrig in possierlichen Sprüngen um ihn herum, brachten ihm, was er brauchte, und zeigten ihm, wie er dies und jenes machen sollte.

So gingen sieben Jahre im Fluge herum. Der junge Goldschmied hatte fast vergessen, daß er ein Mensch war. Das Haar hing ihm längst in wilden Strähnen über die Schultern herab, und er war rußig vom Kopf bis zu den Füßen, aber er hatte viel gelernt und sogar die geschickten Zwerge übertroffen.

Da eines Tages trat der Zauberer zu ihm in die Werkstatt und sagte: „Nun ist deine Zeit hier unten abgelaufen, und du sollst dein Meisterstück machen.“ Er führte ihn hinauf, wusch ihn und schnitt ihm die Haare, und dann sprach er: „Meine Zwerge schmieden mir die herrlichsten Dinge aus Gold, Silber und allen Metallen, die sie in der dunklen Erde finden. Von dir aber verlange ich nun, daß du mir aus dem Silber des Mondes etwas machst!“ Dann brachte er ihn auf das Dach des Schlosses und ließ ihn allein.

Es war Nacht, und der junge Goldschmied sah zum ersten Male wieder den Himmel in aller Pracht über sich, atmete tief die reine, klare Luft und konnte es nicht begreifen, daß er es sieben Jahre unter der Erde ausgehalten hatte. Lange stand er da und schaute hinauf in den Mond. Da auf einmal schien es ihm, als lief ein feines Flimmern über die Mondscheibe, und wie er die Arme sehnsüchtig ausstreckte, glitt es ihm kühl und sanft in die Hände, und siehe, es war das hellste, klarste Silber. Schnell nahm er sein Werkzeug und schmiedete daraus sieben Glocken in verschiedenen Größen.

Am anderen Morgen kam der Fürst, um sein Werk zu betrachten und sagte: „Ehe ich dich ziehen lasse, mußt du mir noch etwas aus dem Gold der Sonne machen!“ Die sieben Glocken aber hing der Zauberer in den hohen Turm, und hier begannen sie ganz von selbst zu läuten, eine nach der anderen, in einer wunderbaren himmlischen Melodie. Der Bursche aber stand auf dem Dache und schaute in die aufgehende Sonne, die gerade ihre ersten Strahlen über die Zinnen des Schlosses sandte. Er stand viele Stunden, ohne sich zu regen. Da, um die Mittagszeit, als die Sonne hoch über ihm am Himmel war, sank etwas vor seine Füße nieder, und wie er sich danach bückte, war es das reinste Gold. Er hob es auf und formte daraus eine Krone, die die wunderbare Eigenschaft hatte, daß von ihren Zacken jeden Tag zwölf kostbare Perlen abtropften.

Am Abend kam der Fürst, besah die Arbeit und sprach: „Du sollst mir, bevor ich dich entlasse, noch etwas aus dem Glanz der Sterne machen. Wenn du es bis morgen früh nicht geschafft hast, mußt du sterben!“ Der junge Goldschmied blieb traurig zurück, denn er merkte nun, daß der Zauberer Böses mit ihm vorhatte, und als er zum Himmel aufblickte, sah er, daß dunkle Wolken dort zusammen gezogen waren und in schwarzen Ballen fast bis auf das Dach herniederhingen. Da wurde ihm das Herz schwer, denn er konnte keinen Stern erblicken und wußte nicht, wie er nun seine Aufgabe erfüllen sollte.

Plötzlich sah er eine wunderbare Jungfrau, die kam auf ihn zu und sprach: „Ich bin die Tochter des Zauberers, aber ebenso seine Gefangene, wie du es bist, denn vor langer Zeit wurde ihm geweissagt, daß seine Macht zu Ende sei, wenn ich ihn verlasse. Darum hält er mich seit meiner Geburt in dem großen Turm verborgen, und es ist mir streng verboten, diesen zu verlassen. - Nun habe ich das himmlische Spiel deiner Glocken vernommen und auch die wunderbare Krone gesehen, die du gemacht hast, und ich will dir helfen, wenn du mir versprichst, auch mich zu befreien und mit dir zu nehmen!“ Dann faßte sie seine Hände und führte ihn viele Treppen hinauf auf den hohen Turm. Der Turm aber ragte weit aber die Wolkendecke hinaus, und der Bursche sah die Sterne im dunklen Nachthimmel herrlich über sich funkeln.

Lange stand er da mit der Jungfrau Hand in Hand und schaute empor, fühlte, wie es sich wunderbar auf sein Haupt senkte, und als er hingriff, hielt er den Glanz der Sterne in Händen, schimmernder und köstlicher als alles Gold und Silber und alle Edelsteine der Erde zusammen, und er nahm sein Werkzeug und schmiedete daraus ein kleines Schiff. Die Jungfrau holte die Krone und das Glockenspiel und stieg zu dem Goldschmied in das Schifflein, das sich mit ihnen vom Turm in die Lüfte erhob.

Kaum aber hatten sie die höchsten Zinnen verlassen, da tat sich hinter ihnen die Erde auf, und in ihrem feurigen Schlund versank das dunkle Schloß lautlos in die Tiefe. Die beiden aber segelten Tag und Nacht, bis sie über ein schönes, fruchtbares Land kamen. Dort schwebte das Schifflein sachte zum Boden nieder. Sie stiegen aus und bauten sich hier ein kleines Häuschen, und der Goldschmied nahm das schöne Mädchen zu seiner Frau.

Einmal nun fuhr der König des Landes in seiner Kutsche vor das kleine Haus, denn der Ruf des kunstreichen Mannes war bis zu ihm gedrungen. Als er die Glocken, das Schifflein und die Krone sah, ward er von großer Sehnsucht ergriffen, diese drei Dinge zu besitzen, und der Goldschmied schenkte sie ihm. Die Glocken wurden im Schloßturm aufgehängt und ließen ihre liebliche Melodie weit über alle Lande erklingen, und wer sie hörte, wurde froh und guter Dinge.

Die Krone und das Schifflein kamen in die Schatzkammer und leuchteten dort heller als alle Schätze und Reichtümer. Der Goldschmied aber schmiedete in seinem Leben noch viele wunderbare Dinge, die die Menschen glücklich und froh machten.